Schlagwort: Hochzeitslader

Hutsingen

„Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm!“ ist ein beliebter Vers, der die Schrittfolge „vorwärts, rückwärts, seitwärts, ran“ einleitet. Für mich bedeutete er eine Abwechslung beim Spazierengehen mit den Kindern. Für einen Sängerwettstreit mit gereimten Versen wäre er allerdings nicht geeignet gewesen. Da braucht es schon mehr. Bei solchen „Gstanzl“ werden vier Zeilen gereimt und dann im Dreivierteltakt gesungen. Diese ironischen, witzigen Reime gehören u.a. zum Repertoire des Hochzeitsladers, der so Gäste einlädt, sie bei der Feier begrüßt und immer wieder für gute Stimmung sorgt. Auch im Bereich des süddeutschen Kabaretts werden gerne Gstanzl gesungen. Vielen bekannt sein dürften die Mitglieder der Wellfamilie, die in der Tradition des Roider Jackl politische Botschaften in Gstanzl packen.

Es gibt auch Wettbewerbe im Gstanzlsingen, wozu das früher im Dachauer Land verbreitete Hutsingen gehört. Für 1870 ist erstmals ein solches Hutsingen bekannt. 1930 wurde es dann von einem Volksmusiker, dem Kiem Pauli, in Erdweg wieder in Erinnerung gebracht. In den 50er Jahren belebte Berufschullehrer Heinrich Neumaier diese Art von Sängerwettstreit. Zuletzt gab es 2021 ein Hutsingen beim Poetischen Herbst in Sickertshofen. Traditionell konnte man sich dabei einen Hut ersingen: wer beim zehnminütigen Vortrag einen zu erratenden Begriff möglichst oft und in zahlreichen Variationen in Reimen unterbrachte, konnte als 1. Preis einen Velourshut, als zweiten einen Filzhut und drittens Würste gewinnen. Eine Jury aus Ratsherren, damals Bezirksheimatpfleger Dr. Göttler, Landrat Löwl und Kabarettistin Martina Schwarzmann entschieden neben dem Publikumsapplaus über den Sieger.

Die hohe Kunst des Reimens gepaart mit Witz und Spontaneität war und ist dabei unerlässlich! Gstanzlsingen ist ein geschätzter Brauch, der leider nicht mehr viele Vertreter hat. Schon beim letzten Hutsingen im Dachauer Land suchten wir lange nach drei Teilnehmern.

Der Landesverein für Heimatpflege lädt jetzt zur Fortbildung ein und hofft damit, interessierte Musiker dafür zu gewinnen. Sebastian Göller, einer der beiden Leiter der Abteilung Volksmusik, schreibt dazu in der Einladung: „Es ist eine bayerische Art Kritik zu üben und lachend die Wahrheit zu sagen.“ Und er gibt ein Beispiel: „Gstanzl krahn / ois wia r a Hahn / Oam, dem geht´s oft gengan Strich, / de andern dafür freuen sich.“

Einen Hut kann man bei diesem Workshop noch nicht gewinnen- aber wer weiß, vielleicht finden sich danach wieder ein paar Teilnehmer für ein Hutsingen…

 

TITELFOTO: Das Playmobil-Trachtenpaar im Büro meiner Kollegin Vroni. Danke, dass sie als Model fungieren durften!

Und hier ein paar Eindrücke aus dem Archiv Neumaier, Dachau. Herzlichen Dank an Heinz Neumaier für die Fotos:

Hutsingen im Dachauer Land
  1. Münchner Illustrierte Zeitung von 1935, hier Georg Kellerer
  2. Münchner Illustrierte Zeitung von 1935

Anmeldungen für den Workshop Gstanzl-Singen nimmt der Bayerische Landesverein für Heimatpflege entgegen. Die Gstanzl-Werkstatt ist schon ausgebucht, wie ich erfahren habe: aber bei so großer Nachfrage hoffe ich auf eine Wiederholung. Die Abendveranstaltung um 19.00 Uhr im Freilichtmuseum Massing kann aber besucht werden.

Zum Nachlesen: Heinrich Neumaier: Die Volkskultur im Landkreis Dachau und ihre Wiederbelebung. In: Zeitschrift Amperland 1968, 4.Jg., S.105-110. Robert Böck: Das Hutsingen. Ein Beitrag zur Volkskunde des Dachauer Landes. In: Volksfrömmigkeit und Brauch. Studien zum Volksleben in Altbayern, München 1990, S.179 -205. Siegfried Bradl: Zur Wiederbelebung des Hutsingens im Dachauer Land. In: Zeitschrift Amperland , 2008, 44.Jg., S.294-299.

Auf Youtube gibt es Videos vom Gstanzlsingen, u.a. auch mit dem Roider Jackl.

 

 

 

 

Blumen pflücken verboten!

Am 8. Juli 1912 war es soweit: die erste Lokalbahn fuhr durch den Dachauer Landkreis – allerdings  vorerst nur bis Schwabhausen. Denn erst ein Jahr später, im Dezember 1913 war das letzte Teilstück bis Altomünster vollendet. Zahlreiche Geschichten und Anekdoten ranken sich um das von den Einheimischen liebevoll genannte „Bockerl“ oder „Bummerl“. So wird und wurde augenzwinkernd berichtet, dass Blumen pflücken während der Fahrt im „Alto-Express“ verboten gewesen sei. Tatsächlich kam es vor, dass der Zug auf offener Strecke außerplanmäßig anhielt, wenn z.B. der Schaffner beim Blick aus dem offenen Zugfenster seine Mütze verloren hatte …

Gerne wird auch von der Jubiläumsfeier „60 Jahre Lokalbahn“ erzählt, bei der noch einmal an die Gründerzeit der Bahn erinnert wurde. Die Organisation übernahm ein Festkomitee, das die Zeit um das Jahr 1913 in Anlehnung an Ludwig Thomas Schriften aufleben ließ. Ein von einer Dampflok gezogener Zug beförderte die in Kostümen der Jahrhundertwende und Dachauer Tracht erschienenen Fahrgäste, darunter auch viel Prominenz. So wurde unter anderen am Bahnhof Dachau der königliche Prinz Xaver musikalisch mit dem Defiliermarsch und „literarisch“ von einer Ehrenjungfrau mit Versen begrüßt:

„Heil der königlichen Hoheit,

dem Prinz Xaver Heil, der wo heut

diesen Zug besteigen tat,

der nach Altomünster fahrt….“

Der von Thoma erfundene Landtagsabgeordnete Filser versuchte sich an einer Rede, ein störrischer Ochse wurde in den Viehwaggon eingeladen, Hochzeitslader und ein Brautpaar, Bauern und ihre Frauen lieferten sich schlagfertige Wortgefechte, bis die Abfahrt angekündigt wurde. Der dampfgetriebene Zug zuckelte durch das Dachauer Land, wo an allen festlich geschmückten Bahnhöfen angehalten wurde und besondere Darbietungen auf die Zugreisenden und die Schaulustigen vor Ort warteten: Reden der Bürgermeister und des Prinzen, Begrüßungsmusik und Sketche mit Lokalbezug. In Schwabhausen beklagte sich der Postillon, dass der neumodische Dampfzug ihm die Arbeit wegnähme, in Arnbach wurde der Räuber Kneissl von Polizisten gestellt, in Erdweg gab es eine große Bauernhochzeit mit Tanzboden und Rauferei, in Kleinberghofen versammelten sich viele Trachtler um einen täuschend echt wirkenden Ludwig Thoma, bevor der Zug mit seinen ausgelassenen Fahrgästen am Zielbahnhof Altomünster eintraf.

Viele, die dieses Jubiläum damals erlebt haben, schwärmen noch heute von diesem Ausnahmefest, viele erinnern sich an die Fahrten mit der alten Lokalbahn. Wer heute aus dem Fenster der modernen S-Bahnzüge blickt, sieht sogar teilweise noch die vom Prinzen Xaver geschätzte „liebliche“ Landschaft „von sanften Höhen durchzogen und mit Wäldern bedeckt“, wird aber mit zahlreichen anderen Mitfahrern zügig von A nach B gebracht – ohne unterwegs Blumen zu pflücken…

 

FOTO: Collage. Mehr zum Jubiläum der 70er Jahre bei Hans Günther Richardi und Gerhard Winkler: Ludwig Thoma und die Dachauer Lokalbahn. Geschichte und Jubiläum einer bayerischen Nebenstrecke, Dachau (Bayerland) 1974. Dort auch auf S. 85 das Zitat des Prinzen Xaver und auf S. 80 das Gedicht der Ehrenjungfrau. Im Ausstellungskatalog des Bezirksmuseums Dachau „´s Bockerl“ von 1993 ist die Geschichte der Lokalbahn von den Anfängen bis zur modernen Bahn aufgezeichnet.

Zu Thoma und der Lokalbahn noch ein Nachtrag: In einigen seiner Werke bezog er sich auf die Dachauer Bahn: in „Altaich (=Altomünster)“, 1918, „Der Ruepp“, 1921 und in verschiedenen Artikeln für die Zeitschrift März. Auch zu seinem Dreiakter „Die Lokalbahn“ ließ sich der Schriftsteller während seiner Aufenthalte in Dachau und im Dachauer Land inspirieren. Als das Theaterstück 1902 im Residenztheater in München aufgeführt wurde, war die Bahnlinie nach Altomünster allerdings noch nicht fertig. So wählte Thoma als Schauplatz für sein Stück „Dornstein“ – gleichbedeutend mit Traunstein – und die dortige Lokalbahnstrecke nach Ruhpolding.

Die trauen sich was!

Ein Stau in der Dachauer Ludwig-Thoma-Straße, und das in Corona-Zeiten! Meine Tochter und ich konnten es kaum glauben. Doch nach der Kurve klärte sich das Ganze auf: eine Kutsche mit einem Hochzeitspaar bewegte sich gemütlich vorwärts, wahrscheinlich in Richtung Altstadt zum Standesamt. „ Viel Glück!“ riefen wir dem Paar beim vorsichtigen Überholen zu und freuten uns, dass sich zwei Menschen gefunden hatten, die sich trauten, gerade in der aktuell schwierigen Zeit.

Um die passende Frau zu finden, fungierte früher der „Hochzeitslader“ oder „Schmuser“, der viel herumkam und potentielle Kandidaten vermittelte. Gefühle waren dabei zweitrangig: es ging in erster Linie darum, dass der materielle Besitz gesichert oder sogar vermehrt wurde. Eine Hochzeit war meist mit der Hofübergabe an die jüngere Generation verbunden, die wiederum mit ihren Nachkommen für den Fortbestand des „Sachs“ sorgen sollte. Deshalb waren die Mitgift der Braut, die öffentlich auf dem Kammerwagen zur Schau gestellt wurde und das „Sachschaun“ wichtige Bestandteile des Hochzeitsrituals. Diesen und andere Bräuche im ländlichen Raum beschrieb Ludwig Thoma in seinem 1902 erschienenen Roman  „Hochzeit“. Verfilmt wurde der Stoff 1983 von Kurt Wilhelm für den BR im Dachauer Land mit vielen Laiendarstellern, zu denen auch der im wirklichen Leben als Hochzeitslader tätige Franz Eder gehörte. Hochzeitslader waren häufig  nicht nur für das Zustandekommen von Ehen zuständig. Sie waren vor allem eine Art von Zeremonienmeister, die für einen geregelten Ablauf der gesamten Feierlichkeiten sorgten: von der mündlichen Einladung bis zum letzten Brauttanz um Mitternacht. Heutzutage sind statt Hochzeitsladern häufig die Brautpaare selbst Organisatoren oder lassen sich von „Wedding Plannern“ beraten.

Dadurch haben sich seit Thomas Hochzeit viele Bräuche geändert – genügend Stoff für mehrere Blogbeiträge. Auf einen möchte ich mit dem Foto des heutigen Beitrags hinweisen: seit einigen Jahren werden im Landkreis Dachau Brautpaare aus Strohballen aufgebaut. Die Strohfiguren haben immer fröhliche Gesichter und tragen Brautschleier und Zylinder. Manchmal gibt es ein zusätzliches Transparent oder Schild, auf dem den frisch Vermählten gratuliert wird. Alles ist gut sichtbar auf Feldern oder vor Bauernhöfen aufgestellt. Bei diesem Paar feierte sogar schon das Kind der Paares mit, das sich sichtlich sehr über die Hochzeit seiner Eltern freut! Das hätte man sich früher nicht getraut…

 

FOTO: Mit dieser kleinen Familie wurde einem Brautpaar 2018 in Niederroth gratuliert.

Einen prächtigen Kammerwagen kann man hoffentlich bald wieder im Dachauer Bezirksmuseum anschauen: der große Aussteuerschrank, ein großes Bett, Tisch, Stühle, ein Butterfass und sogar ein Vogelbauer sind auf dem Wagen aufgebaut. Die Braut war augenscheinlich eine gute Partie!