Schlagwort: Dialekt

Auf der Alm daheim

Neulich schrieb mir Herr A. aus Nordhessen: als passionierter Schallplattensammler habe er eine Single aus den 70er Jahren erworben und wolle mehr über seinen Fund „Das Oaduttate Mensch“ vom Gesangsduo Kerscher – Spilk, wahrscheinlich aus Dachau, wissen. Er finde das Lied sehr merkwürdig und fragte, ob das mit dem ihm schwer verständlichen Dialekt zusammenhängen könne? Ich antwortete ihm, dass ich das nicht glaube. Vielmehr handelt es sich um ein mehr als seltsames Lied, das Frauen abschätzig als „das Mensch“ bezeichnet und dabei den abwertenden Begriff „Dutten“ für weibliche Brüste verwendet. Die „Oaduttate“ ist folglich eine Frau mit einer Brust. Und auf diese stößt im Lied der Lenz beim Fensterln auf der Alm und wundert sich…

Oh je! Da wären wir mal wieder beim scheinbar unausrottbaren Klischee Alm! Der Salzburger Brauchtumsforscher Karl Zinnburg stellte dazu sehr treffend fest, dass „über das Almleben … die Städter vielfach recht romantische Vorstellungen“ hätten und „Schnulzenfilme und Heimatromane … diese Auffassung nur bekräftigt“ hätten.

Das „wahre“ Leben auf der Alm schilderte 2012 die in Tandern geborene Drehbuchautorin Karin Michalke in ihrem Buch „Auch unter Kühen gibt es Zicken“. Ihr Beispiel zeigte, dass auch im 21. Jahrhundert wenig Freizeit, dafür viel körperliche Arbeit und Entbehrungen zum Almleben gehören. Dennoch gab und gibt es viele Sennerinnen, die das Leben in den Bergen nicht missen möchten, weil es ihnen eine gewisse Freiheit gab und gibt. Früher entzog es die Frauen der sozialen Kontrolle einer engen und reglementierten Dorfwelt, heute bietet es Distanz zum hektischen von Ökonomie geprägten Leben und Naturnähe. Diese Freiheit war natürlich auch immer Objekt für Spekulationen über die Freizügigkeit auf der Alm – viele Liedtexte thematisieren dies. Eine Sennerin erzählte dazu, dass man ihr angedichtet habe, dass sie jede Nacht Männerbesuch auf der Alm erhalten habe. Diese Verleumdung habe sie sehr verletzt.

Vor diesem Hintergrund erscheint der Text des von Herrn A. angefragten Liedes umso fragwürdiger.

Schließen möchte ich deshalb mit einem anderen Blick auf die Alm, der von der Sennerin Anni Reiter stammt: „Ich war mit Leib und Seele auf der Alm. Und wenn du das einmal so lange machst, kannst du es nicht mehr lassen. Dann ist es einem einfach seine Heimat, da oben.“

 

FOTO: Tafel vom Altomünsterer Kunstweg 2020/21 im Altowald.

Mein heutiger Dank gilt meinem Fragesteller aus Hessen, der mich auf die singenden Schwestern aus Dachau aufmerksam machte und mich so zu diesem Blogbeitrag inspirierte. Er wies mich auch auf Youtube hin, wo das Lied zu hören ist.

Informationen zum Thema: Karl Zinnburg (1924-1994) wurde zitiert in Helga Maria Wolf: Verschwundene Bräuche, Wien 2015. Die Drehbuchautorin Karin Michalke (bekannt für die Vorlagen zu den Rosenmüller-Filmen „Beste Gegend“, „Beste Zeit“) schrieb ihre Erfahrungen zweier Almsommer in „Auch unter Kühen gibt es Zicken“ 2012 nieder. Porträts von Sennerinnen hat Annegret Braun in „Frauen auf dem Lande“, München 2010 auf S. 42-46 zusammengefasst. Dort auch das Zitat von Anni Reiter.

Das Gscheidhaferl

Worüber ich erst neulich wieder einmal gestolpert bin, ist das Wort „Gscheidhaferl“. Wir führten im Familienkreis eine lebhafte Debatte, bei der jeder das letzte Wort haben wollte. Ich war der „Gewinner“, was unsere Tochter mit der Bemerkung quittierte, dass ich manchmal schon ein rechtes „Gscheidhaferl“ sei, was alle mit großem Gelächter kommentierten.

Das gab den Anstoß dazu, über den Begriff einmal nachzuforschen. Laut Bayrischem Wörterbuch ist die Bezeichnung ein Synonym für „Besserwisser, Klugscheißer, Neunmalkluger, Klugschwätzer“ – allesamt Ausdrücke, die Wissen und Klugheit abschätzig bewerten. Auch im Schwäbischen, meiner ersten Dialektsprache, wird ein vermeintlich kluger Mensch eher spöttisch als „Obergscheidle“ bezeichnet. Er ist nicht „gscheid“,  sondern gesteigert „ober-gscheid“, also einer, der alles besser weiß oder zu wissen glaubt.

Oh je! Da hatte ich mir also kein Kompliment eingehandelt – aber ich tröstete mich damit,  dass unsere Tochter mit dem impulsiven Ausruf sicher nur ihre gefühlte Niederlage im Wortgefecht kompensieren wollte.

Woher die Verbindung mit dem „Haferl“, einer Tasse oder einem Gefäß kommt, konnte ich nicht einwandfrei klären. Da „Haferl“ wohl früher auch den „Nachttopf“  bezeichnete, könnte die Nähe zum Klugscheisser auf die negative Bedeutung hindeuten. Aber so sicher bin ich mir da nicht.

Falls sie mehr zum Thema wissen – gerne melden – Gescheidhaferl sind gefragt! Ich mache mir einstweilen ein Haferl Kaffee in Anlehnung an eine bayrische Rösterei. Diese hat nämlich den Begriff für sich gewendet und bietet einen „gscheiden“ Kaffee in einem Haferl an.

 

FOTO: Kaffeepause in einem Museumscafé.

Wer sich für Dialektausdrücke und ihre Herkunft interessiert, sei auch auf das schöne Buch von Dr. Norbert Göttler mit Fotografien von Paul Ernst Rattelmüller hingewiesen: „ausgesprochen bayerisch“ ist eine wahre Fundgrube für  Dialektliebhaber. Die digitale Ausstellung dazu ist ebenfalls sehenswert.

 

 

Grenz-Wertig

Der Begriff „Grenz-Wertig“ kann in zwei Richtungen interpretiert werden. Zum einen bezeichnet er Werte an einer geografischen Grenze und zum anderen stellt er eben diese Wertigkeit von Dingen in Frage. Deshalb habe ich diesen Begriff bewußt als Motto für meine Exkursionen gewählt, die die Teilnehmer einmal jährlich an die Grenzen im Landkreis Dachau führen soll.

Was die erste Bedeutung anbelangt: wir reisen zusammen entlang der Landkreisgrenze in Richtung Fürstenfeldbruck, Aichach-Friedberg, Pfaffenhofen, München. Dabei besuchen wir Baudenkmäler, interessante landschaftliche Abschnitte, historisch bedeutsame Orte. Es geht dabei nicht um ein landkreisweites „Sachschaun“ in Abgrenzung zu den Nachbarlandkreisen. Es geht vielmehr um Informationen zur Kultur- und Heimatpflege die zeigen, wie willkürlich die heutigen politischen Grenzen oftmals gesetzt sind. Drei Beispiele von vielen seien hier genannt: Pfarrverbände wie der in Haimhausen-Fahrenzhausen bilden eine Einheit über Dachau hinaus mit dem Freisinger Kreis. Die Kirche St. Dionysius in Pipinsried schlägt eine Brücke zwischen der Diözese München-Freising und dem Bistum Augsburg. Die Furthmühle trennen nur wenige Meter von der Gemeinde Pfaffenhofen. Heute gehört sie zum Landkreis Fürstenfeldbruck, während sie im 19. Jahrhundert Bestandteil der Besitztümer der Augsburger Familie von Lotzbeck war, der neben Schloss Weyhern auch die ehemalige Hofmark Eisolzried bei Bergkirchen gehörte.

Übrigens abseits der Denkmalpflege: es verläuft auch eine Art sprachlicher Grenze durch den Landkreis Dachau. Der Übergang vom Dialekt des Bairischen zum Schwäbischen manifestiert sich bereits in der Gegend um Altomünster. Auch Trachten, Musik und Brauchtum lassen sich nicht auf politische Grenzen reduzieren….

Aber zurück zum Begriff „Grenz-Wertig“, der im zweiten Sinne eine Kategorie ist, die die subjektive Geschmacksempfindung betrifft: hier treffen Anhänger von Toskanahäusern auf Liebhaber von Bauhaus-Würfeln, Freunde der neuen Ruinenarchitektur auf Gartenzwergidyllen, Tradition auf Moderne.

Kann man diese beiden Grenzwerte zusammenbringen? Ich denke schon. Der Blick auf Werte schärft den Blick für Qualität und beeinflusst den Geschmack. Und in diesem Sinne halte ich es mit Oscar Wilde, der sagte: „Ich habe einen ganz einfachen Geschmack. Ich bin immer mit dem Besten zufrieden.“

Werte setzen sich durch – auch über Grenzen hinweg.

 

Auf dem FOTO sehen sie einen Blick auf eine Straße zwischen Deutenhausen und Kreuzholzhausen. Im Hintergrund die Alpenkette.

Do you speak Bavarian?

Das haben wahrscheinlich bisher wenige Touristen in Bayern einen Einheimischen gefragt. Als Umgangssprache für Einheimische und Touristen wird die Standardsprache benutzt, die gleichzeitig die Basis für eine Verständigung im gesamten deutschsprachigen Raum darstellt.

Letzte Woche lud der Bayernbund ins Gasthaus Zieglerbräu nach Dachau ein, um sich der Frage „Ist Bairisch erwünscht, geduldet, verfemt, aussterbend oder lebendig?“ zu widmen. Das Podium war überwiegend mit „native speakers“ aus Bayern besetzt – eine Ausnahme war die Diskussionsleitung, die „Quotenfrau“, die gleichzeitig auch einen anderen Dialekt, nämlich das Plattdeutsche vertrat.

Insgesamt wurde von Podium und Publikum eine Lanze für den Dialekt gebrochen. Er sei bildreicher als die Standardsprache und von der Anzahl der Wörter her kürzer. Von daher eigne sich Dialekt  auch als Schnellform beim modernen Kommunizieren per Smartphone – was Jugendliche auch häufig nutzten. Trotzdem nehme die Anzahl der Dialektsprecher ab. Abhilfe soll deshalb schon von Klein auf in Kindergärten und Schulen geleistet werden, wozu eigens ein Projekt „MundART WERTvoll“ gestartet wurde. Kinder würden dabei spielerisch ans Dialektsprechen herangeführt. Positive Beispiele auch aus der Praxis wurden genannt.

Alles schön und gut, seufzte ich da innerlich, auch dass die UNESCO 2009 den bairischen Dialekt als Kulturgut würdigte, ihn aber auch als bedroht einstufte. Denn ich sehe eine Parallele zwischen der Entwicklung des Brauchtums und der des Dialekts: beide reagieren auf die jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und verändern sich mit den Bedürfnissen der Menschen. Beide unterliegen einem eigendynamischen Prozess, der manchmal Überraschendes wie die neu aufgeflammte Liebe zur Trachtenmode hervorbringt.

In den Aufbruchsjahren der 60er und 70er Jahre galt Dialekt als provinziell und altmodisch. Als Reaktion auf die Globalisierung und internationale Kommunikation hat sich aber in verschiedensten Bereichen eine Rückbesinnung auf das Regionale ergeben, die häufig auch mit „Heimat“ verbunden wird. Dazu gehört auch der Dialekt, der mancherorts eine Art von „Renaissance“ erfährt.

Wenn wir die Akzeptanz des Dialekts erhöhen wollen und eine Wiederbelebung desselben anstreben, dann können wir auf die inzwischen etablierte Sprachwissenschaft zurückgreifen und auf die Praxis des Gesprochenen. Obacht aber bei der Klischeefalle! Zum Bairischreden gehört nicht unweigerlich das Tragen von Dirndl und Lederhose. Auch die korrekte Aussprache von „Oachkatzlschwoaf“ als Eignungstest für Preußen ist ein „Schmarrn“. Auf keinen Fall sollte Dialekt ein „muss“ werden, so wie es die Schriftsprache lange Zeit war.

Dialekt sprechen ist  ein Ausdruck der Kultur einer Gegend – zu recht ein Kulturgut im Sinne der UNESCO. In unserem Landkreis ist der Dialekt gekennzeichnet durch das Aufeinandertreffen von Bairisch und Schwäbisch – da fühle ich mich auch sprachlich daheim.

Im Dialekt zu Hause ist übrigens auch der gebürtige Brite, Professor Dr. Anthony Rowley, der in München am Lehrstuhl für Germanistik tätig ist. Er gilt als einer der versiertesten Kenner des bairischen Dialekts. „Do you speak Bavarian?“ versteht sich bei ihm von selbst – schön wäre es, wenn es das für uns auch wäre.

 

FOTO: Die Schlossbergler feiern 2016 im Ludwig-Thoma-Haus Jubiläum.

 

 

 

 

 

 

 

Heimatkrimi

„Je friedfertiger und demokratischer eine Gesellschaft ist, desto brutaler und gruseliger ihre Krimis“ – so jedenfalls wagten meine Buchändlerin und ich diese Woche eine These, als ich auf der Suche nach neuem Lesestoff war. Die Mankells, Larssons, Blaedels der skandinavischen Länder sind wahrhaftig nichts für schwache Nerven. Und auch quer durch Deutschland wird in Film und Literatur gemordet und ermittelt was das Zeug hält.

Dabei hat sich eine regionale Spezies etabliert, die mit dem Etikett „Heimatkrimi“ versehen wurde. Den Beginn eines sicherlich lukrativen Geschäfts mit dieser Gattung markiert der allseits bekannte Allgäuer Kommissar Kluftinger. Zahlreiche Alpen-, Franken- und Oberbayernkrimis folgten. Doch auch andere Gegenden Deutschlands haben nachgezogen, sodass inzwischen auch in der Eifel und im Schwarzwald überdurchschnittlich viele Tatorte und Verbrechen anzutreffen sind…

Ein zünftiger Heimatkrimi spielt meist in einer ländlichen, idyllischen Gegend. Viele der Protagonisten sprechen Dialekt, essen heimische Gerichte und nutzen bekannte Orte, Vereine und Bräuche als authentische Kulisse für ein fiktives Verbrechen. Der Leser findet so genügend Anknüpfungspunkte, um sich in der Szenerie heimisch zu fühlen. Dabei sparen die Autoren auch nicht mit Klischees, von den Buchtiteln bis zur Charakterisierung von Personen – wer denkt da nicht auch an den Arzt Dr. Langhammer, der den neurotischen Gesundheitsapostel und Gegenpart zum Genußmenschen Kluftinger gibt.

An dieser Stelle muss ich mich ebenfalls als Konsument dieser, in ihrer Qualität manchmal recht unterschiedlichen Bücher zu erkennen geben. So lese ich zum Beispiel sehr gerne die Abenteuer des Studienrates Hummel und seines Journalistenfreundes Riesle, die in meinem Geburtsort Villingen-Schwenningen am Rande des Schwarzwalds ermitteln. Wenn sie einen Mord im Eisstadion aufklären, dem Verbrecher durch das Schwenninger Moos folgen oder abends mehrere Gläschen in der alten Zähringerstadt Villingen zu sich nehmen – dann fühlt sich das wie ein Ausflug in meine erste Heimat an. Die Kriminalstory ist dabei nur zweitrangig.

Vielleicht ist das auch das Geheimnis des Erfolges dieser Krimis, die  auf der „Heimatwelle“ reiten: sie bringen Vertrautes mit einer spannenden Geschichte zusammen und lassen dem Leser gerade soviel Raum zum Gruseln, dass der Wohlfühlcharakter auf der heimischen Couch nicht gefährdet wird. Nebenbei nehmen sie häufig Heimatklischees aufs Korn, lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen bei der Schilderung kulinarischer Köstlichkeiten und bringen den Leser durch ironische Überzeichnungen häufig zum Schmunzeln. Das dadurch erzeugte Heimatgefühl macht einem zum Vertrauten, ja zum Komplizen, der ganz nahe am Geschehen ist.

Jetzt fehlt mir eigentlich nur noch der erste Heimatkrimi aus dem Landkreis Dachau…

 

Für das FOTO ließ ich mich in der heimischen Küche inspirieren: mein Messerblock wurde so zum „Model“.