Schlagwort: Paul Ernst Rattelmüller

Das Gscheidhaferl

Worüber ich erst neulich wieder einmal gestolpert bin, ist das Wort „Gscheidhaferl“. Wir führten im Familienkreis eine lebhafte Debatte, bei der jeder das letzte Wort haben wollte. Ich war der „Gewinner“, was unsere Tochter mit der Bemerkung quittierte, dass ich manchmal schon ein rechtes „Gscheidhaferl“ sei, was alle mit großem Gelächter kommentierten.

Das gab den Anstoß dazu, über den Begriff einmal nachzuforschen. Laut Bayrischem Wörterbuch ist die Bezeichnung ein Synonym für „Besserwisser, Klugscheißer, Neunmalkluger, Klugschwätzer“ – allesamt Ausdrücke, die Wissen und Klugheit abschätzig bewerten. Auch im Schwäbischen, meiner ersten Dialektsprache, wird ein vermeintlich kluger Mensch eher spöttisch als „Obergscheidle“ bezeichnet. Er ist nicht „gscheid“,  sondern gesteigert „ober-gscheid“, also einer, der alles besser weiß oder zu wissen glaubt.

Oh je! Da hatte ich mir also kein Kompliment eingehandelt – aber ich tröstete mich damit,  dass unsere Tochter mit dem impulsiven Ausruf sicher nur ihre gefühlte Niederlage im Wortgefecht kompensieren wollte.

Woher die Verbindung mit dem „Haferl“, einer Tasse oder einem Gefäß kommt, konnte ich nicht einwandfrei klären. Da „Haferl“ wohl früher auch den „Nachttopf“  bezeichnete, könnte die Nähe zum Klugscheisser auf die negative Bedeutung hindeuten. Aber so sicher bin ich mir da nicht.

Falls sie mehr zum Thema wissen – gerne melden – Gescheidhaferl sind gefragt! Ich mache mir einstweilen ein Haferl Kaffee in Anlehnung an eine bayrische Rösterei. Diese hat nämlich den Begriff für sich gewendet und bietet einen „gscheiden“ Kaffee in einem Haferl an.

 

FOTO: Kaffeepause in einem Museumscafé.

Wer sich für Dialektausdrücke und ihre Herkunft interessiert, sei auch auf das schöne Buch von Dr. Norbert Göttler mit Fotografien von Paul Ernst Rattelmüller hingewiesen: „ausgesprochen bayerisch“ ist eine wahre Fundgrube für  Dialektliebhaber. Die digitale Ausstellung dazu ist ebenfalls sehenswert.

 

 

M(a)ei Baum is weg

Es sind diese Momente, die die Arbeit der Heimatpflege so interessant machen – Geschichten, die das Leben schreibt. Neulich erhielt ich eine Nachricht auf den Anrufbeantworter, die wie ein Hilferuf klang: „Wir haben einen Maibaum, den die Beklauten nicht auslösen wollen, weil er angeblich nicht rechtens gestohlen wurde. Wir wollen ihn aber wieder loswerden! “

Da war ich neugierig, was geschehen war. Mir wurde erzählt, dass 35 junge Männer einen Baum aus einer Nachbargemeinde geklaut hätten, der als Maibaum ausgewiesen und auch über die Ortsgrenze hinaus in den Ort der Maibaumdiebe gebracht worden war. Alles so, wie es normalerweise vonstatten geht. In der Folge müssten die Beklauten ihren Baum mit ausreichend Bier und Brotzeit auslösen und bekämen ihn wieder zurück. Soweit so gut.

Aber dann kam der Pferdefuß: in der Truppe befanden sich fünf Männer, die aus einem anderen Ortsteil der beklauten Großgemeinde stammten. Darauf beriefen sich auch die Brotzeitverweigerer. Also wer hatte Recht?

Es gibt keine juristischen Grundlagen für den Maibaumdiebstahl. Beim Brauchtum wird auf der Grundlage von gewachsenen gemeinsamen Regeln gehandelt. Was wir schriftlich diesbezüglich haben, sind allein gewisse Grundsätze, die von Beobachtern dieses Brauchtums, wie z.B. vom ehemaligen oberbayrischen Bezirksheimatpfleger Paul Ernst Rattelmüller (1924 – 2004) festgehalten wurden, der schrieb: „Maibäume dürfen nur außerhalb der eigenen Gemeinde gestohlen werden. Dies bedeutet, dass man nur in Dörfern, die nicht zur Gemeinde gehören, einen Maibaum stehlen darf. In Dörfern der gleichen Gemeinde ist dies nicht gestattet.“ Folglich riet ich den Maibaumdieben zu einer Rückgabe ohne Auslöse, weil der Diebstahl mit den fünf Ortsteilansässigen einen faden Beigeschmack hätte. Der Anrufer wollte so handeln und den Baum dann nochmals ohne „wenn und aber“ klauen.

Aber es kam dann ganz anders: bevor der gestohlene Baum aus – nennen wir den Ort L. – zurückgebracht werden konnte, wurde er wiederum geklaut und nach S. gebracht. Die Burschen, die dafür verantwortlich waren, wollten ihn in einer Scheune lagern, für die sie noch einen Schlüssel brauchten. Als sie mit dem Schlüssel fünf Minuten später zur Scheune kamen, fanden sie den Platz davor leer. Man hatte ihnen den geklauten Maibaum geraubt und in den Ort P. gebracht!

Wer war nun für die Auslöse verantwortlich?

Da war guter Rat teuer und auch in diesem erweiterten Fall wurde ich um Rat gefragt. Daraufhin beriet ich mich auch mit dem Brauchtumsexperten Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege. Beide waren wir uns darin einig, dass „Maibaumklau“ ein Brauch ist, bei dem es um Spaß, Geselligkeit und auch sportliche Leistung geht. Sobald es in Streit ausartet oder negativ sogar mit „Schandbäumen“ für nicht ausgelöste Bäume endet, geht viel vom Ursprünglichen verloren.

Wir plädieren beide dafür, den Spaß und die Freude wieder in den Vordergrund zu stellen! Bei doch auftretenden Streitigkeiten sollte man sich auf eine versöhnliche Art und Weise verständigen.

Wie die Geschichte im oben geschilderten Fall ausging? Ich hoffe, dass die erste erfolgreiche Maibaumklautruppe ihrer Verpflichtung, den geklauten Baum zu beschützen, nachgekommen ist und den Baum wieder zurückgebracht hat – nachdem sie ihn bei den zuletzt erfolgreichen Dieben ausgelöst hat. Ich hätte aber auch eine Idee, wie man diese außerordentliche Aneinanderreihung von Maibaumdiebstählen abschliessen könnte: a l l e Diebe treffen sich zu einer Brotzeit mit Bier, an der sich a l l e beteiligen – denn so eine Begebenheit gibt es nicht alle Tage. Das sollte man entspannt und zünftig feiern. Prosit!

 

Die beiden Tafeln auf dem FOTO gehören zum Schwabhauser Maibaum.