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Der „Wir-schicken-uns-täglich-Nachrichten-Brauch“

Der tägliche Blick aufs Smartphone, meist gleich nach dem Frühstück, wer kennt das nicht? Wer hat wieder einen Film, ein Bild, eine aufmunternde Nachricht geschickt? Es scheint, als ob Bekannte und Freunde in der gegenwärtigen Corona-Krise zumindest virtuell ein wenig näher zusammenrücken möchten, um sich einen Gruß, ein bisschen Mut, Nähe, Trost und einfach Unterhaltung zu schicken.

Vielleicht werden sich nach der Krise auch einmal Wissenschaftler mit diesem Phänomen ausgiebig befassen, um eine Art von neuem „Brauch“ zu beschreiben. „Brauch“ wird ja definiert als „regelmäßige und wiederkehrende Handlungsvollzüge, die einen klar bestimmbaren Gestaltungsrahmen besitzen“ und in einer Gruppe ausgeübt werden. Ein neuer Brauch neben den „klassischen“ Bräuchen, die den Jahreslauf (Jahreszeiten, Feste) und Lebenslauf (Geburt bis Tod) strukturieren, oder den Bereichen Religion, Region oder Berufen zugeordnet werden können. Auf die derzeitige Situation bezogen wäre das dann ein „Wir-schicken-uns-täglich-Nachrichten-Brauch“ via Smartphone, der den Tag strukturiert.

Dazu ein paar Ideen zu einer ersten Unterteilung dieser Botschaften in der Corona-Krise:

  1. Kreativität: Videos und Bilder, die zeigen, wie man ideenreich mit der Quarantäne umgehen kann: Sportübungen mit Klopapierrollen oder DJs am Kochplattenherd. Mein aktueller Favorit ist ein Film mit einem älteren italienischen Herrn, der einer jüngeren weiblichen Stimme aus dem Off verkündet auszugehen, um einen Kaffee zu trinken, die Tür öffnet, und Überraschung (!) sich dann im eigenen Garten wiederfindet, um sich am Küchenfenster sein Getränk geben zu lassen.
  2. Solidarität: Inhalt sind hier Appelle und Botschaften durchzuhalten und sich zu bedanken bei all denen, die das Gesundheits- und Versorgungssysteme am Laufen halten. Dazu zählen Videos mit klatschenden Menschen auf Balkonen und das Video aus Bamberg, das mit dem legendären Partisanenlied „Bella Ciao“ Grüße nach Italien schickt.
  3. Informationen und Pseudo-Informationen: Dazu zählen leider viele krause Verschwörungstheorien und seltsame Ansichten, die ich zum Glück sehr selten bekomme. Aber auch brauchbare Anleitungen zum Anfertigen von Schutzmasken sind dabei.
  4. Schwarzer Humor: Teilweise sehr grenzwertig Beiträge – aber die Geschmäcker sind bekanntlich sehr verschieden.
  5. Einfach lustig und nicht immer tiefgründig: Damit meine ich Botschaften zum Lachen oder Schmunzeln wie das neue Modell eines Sportschuhs in Hausschuhoptik oder der müde Hund, der vom vielen Gassigehen erschöpft am Boden liegt und sich fragt, wer dieser Covid eigentlich sei…

Bräuche sind nicht für alle Zeit festgestanzt und von daher wandelbar. So ist dieser neue Brauch vielleicht auch nur temporär. Aber möglicherweise brauchen wir ihn gerade jetzt als gemeinschaftsstiftendes Miteinander in einer Zeit, wo wir physischen Abstand halten müssen und unsere traditionellen Bräuche nicht ausüben können.

 

Das FOTO entstand im Home Office der Heimatpflegerin.

Mit Filmen und Videos hat sich auch die SZ am Wochenende und am 6. April 2020 befasst und sie u.a. als Gute-Laune-Macher bezeichnet. Bei der Definition für „Brauch“ beziehe ich mich auf Dr. Brauch von Brauchwiki, der auf eine diesbezügliche Anfrage am 18.07.2011 antwortete.