Schlagwort: Austrag

Abschied vom schlechten Geschmack?

Was wohl die alten Spartaner zur Weiterentwicklung ihrer Idee, den Abschied vom Singledasein zu feiern, gesagt hätten?

„Ein Schaf läuft übers Karpfhamer Volksfest im Rottal, es ist die verkleidete Braut, angefeuert von einer Horde junger Frauen. Sie verkauft Gaben aus ihrem Körbchen, getrunken wird nicht nur Limo. Ein Mann muss in der Münchner Fussgängerzone Bussis von Passantinnen sammeln, gequetscht in einen rosafarbenen Latexanzug, fast nackt….“, so beschrieb Hans Kratzer 2016 zwei Jungesell*innenabschiede in der Süddeutschen Zeitung.

Längst hat diese Form der Feier den Polterabend abgelöst, bei dem früher reichhaltig Porzellan (kein Glas – weil es Unglück bringt) geworfen wurde. Die Scherben musste dann das Brautpaar zusammenkehren.

Heute feiern junge und auch nicht mehr ganz so junge Männer und Frauen häufig anders. Wie Hans Kratzer beschrieb, treffen sie sich in Gruppen, meist ausgestattet mit Mottoshirts, Haarreifen, Bauchläden und Alkoholischem. Manche schicken die künftigen Brautleute auch auf eine Schnitzeljagd, bei der sie mehr oder weniger „originelle“ Aufgaben lösen müssen. Vielerorts sind die ausgelassen Feiernden für Gastronomen inzwischen ein rotes Tuch, wie Eintrittsverbote „Keine Jungesellenabschiede“ belegen.

Keine Frage, dass Wendepunkte im Leben gefeiert werden müssen. Dazu gehört auch der Übergang vom Single- zum Paardasein, früher ein Schritt, der die Jugendzeit offiziell beendete und die Rolle der Brautleute als Mann und Frau in der Gesellschaft unterstrich. Der Altbauer ging mit seiner Bäuerin in den Austrag und machte für die neue Generation Platz, die die Verantwortung für den Hof übernahm und selbst eine Familie gründete. So kann man in den Feiern am Vorabend der Hochzeit auch eine Art von Initiationsritus sehen, der auf das neue Leben vorbereitete. Als Erwachsener durfte man Alkohol konsumieren und (erste) sexuelle Erfahrungen machen. Dies wurde später in Parties aufgegriffen, zu denen Tänzerinnen oder Stripper*innen eingeladen wurden oder werden.

Und heute? Zunehmend beobachte ich, dass jetzt Freunde und Freundinnen des Paares auf eine Art von Kurzurlaub eingeladen werden, um gleich einen ganzen Tag oder ein Wochenende zusammen zu sein. Vom Bayrischen Wald bis Mallorca ist hier alles möglich, von Wellness bis Ballermann, Mädelsabende, Männerausflüge oder gemeinsame Unternehmungen – im Mittelpunkt steht das gemeinsame Freizeiterlebnis.

Die Hochzeit findet heute bei vielen Paaren nach einem längeren gemeinsamen Zusammensein und -leben statt. Damit hat der Jungesell*innenabend seinen ursprünglichen Charakter verloren und ist nurmehr  e i n  Baustein bei den Hochzeitsfeierlichkeiten und erinnert so nur noch in Teilen an seine ursprüngliche Bedeutung.

Jetzt bleibt für mich nur zu hoffen, dass sich mit den neuen Entwicklungen des Brauchs auch zunehmend der Abschied von peinlichen Verhaltensweisen und damit vom schlechten Geschmack durchsetzt.

 

FOTO: Alles was es heutzutage für einen Junggesellinnenabschied braucht, entdeckte ich vor einigen Jahren in einem Laden für Deko aller Art in Miesbach: Dekoschirmchen für Cocktails, Blütenketten, Haarreife, Lippenstift, Einladungen…

Hans Kratzer veröffentlichte den Artikel, aus dem ich zitierte, am Wochenende 08./09.Oktober 2016 in der Süddeutschen Zeitung. Ein weiterer Beitrag von ihm findet sich in einer Ausgabe der SZ von 2010. Zum Thema „Erwachsensein“ s.a. Ausst.Kat. Bezirksmuseum Dachau: Wie es war und ist, erwachsen zu sein, Dachau 2020.

 

 

 

 

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Wachgeküsst…

In dem von den Brüdern Grimm aufgezeichneten Märchen „Dornröschen“ wünscht eine frustrierte böse Fee, die nicht zur Tauffeier der Prinzessin geladen wurde, dieser den frühen Tod. Glücklicherweise kann eine weitere Fee diese Verwünschung in einen hundertjährigen Schlaf abwandeln. So schläft die Prinzessin hundert Jahre in einem Schloss, um das dann im Laufe der Jahrzehnte eine Dornenhecke wächst, ihren sogenannten „Dornröschenschlaf“ – bis endlich ein Prinz kommt und sie wachküsst.

Den Bauzaun eines Baudenkmals in Großberghofen schmückt seit kurzem ein Banner, auf dem steht, dass dieses Gebäude aus dem „Dornröschenschlaf“ erweckt werde. Das sogenannte „Stafflerhäusl“ wurde allerdings nicht verwünscht, sondern eher vergessen. Mitte des 19. Jahrhunderts als Austrag erbaut, diente das kleine Haus vielen Menschen als Heimstatt und stand die letzten Jahrzehnte an der Hauptstraße des Ortes verwaist da. Keine Dornenhecke, aber ein dichter Saum von Ahornbäumen bildete eine grüne Mauer um das Haus, das eher „Aschenputtel“ ähnelte: grau, unscheinbar, nicht beachtet. Und um bei dem Märchenbild zu bleiben: es wartete darauf, dass es aus seinem Schattendasein befreit wird.

Zum Glück nahm sich ein Fan alter Bauwerke des Aschenputtels an und will jetzt seine Schönheit wieder sichtbar machen. Die Schönheit alter Bauwerke (nicht nur Schlösser!) wartet häufig noch auf (Wieder-) Entdecker und darauf, für weitere Jahrzehnte (oder wieder 100 Jahre) bewahrt zu werden. Man muss dazu kein Prinz sein – nur Liebe zum Objekt aufbringen, dazu Zeit, gute Beratung, eine solide Finanzierung und gute Handwerker. Dann kann auch das eine oder andere weitere Schmuckstück wieder aus dem Dornröschenschlaf erweckt werden.

Die „Kinder- und Hausmärchen“  der Brüder Grimm erschienen von 1812-1858, die Baugeschichte des Stafflerhäusls begann 1843. Am „Tag des offenen Denkmals“ 2022 besteht die Gelegenheit das Baudenkmal bei einer Führung um 15.00 Uhr zu besichtigen. Mehr zum Denkmal erfährt man auch auf der Webseite. Und wer sich für den Erhalt von Denkmälern und das Procedere der Abläufe, Finanzierung und fachgerechten Restaurierung interessiert, sei auf die Webseite des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege verwiesen. Dort gibt es auch eine Denkmalbörse mit Immobilien, die zum Verkauf stehen. 

FOTO Unger-Richter: Das Baudenkmal in Großberghofen Anfang Juli 2022.