Schlagwort: Heimatpflege

Deafs a bissal mehra sei?

Manchmal entdecke ich bei meinen Fahrten durch den Landkreis nicht nur landschaftlich wunderschöne Orte, schmucke Kirchenbauten und stattliche Bauernhöfe, sondern auch die Zeugnisse einer voranschreitenden Zersiedelung mit kunterbunten Neubauten und Zitaten der Baugeschichte aus der ganzen Welt. Wir haben Almhütten, Toskanahäuser, modernistische Kuben, ja sogar Fachwerkbauten und Bungalows, alles vereint in dicht gedrängten Neubausiedlungen, wo jeder Besitzer stolz auf seinen einzigartigen Fassadenfarbton ist…

So verändern sich unsere Dörfer im Landkreis Dachau.

Aber wie lebt es sich in so einem bunten Dorf? Wo erhält der Dorfbewohner seine Lebensmittel? Die lauten Hausfassaden verheißen Lebendigkeit, täuschen jedoch häufig darüber hinweg, dass ein geselliges Dorfleben nurmehr ansatzweise vorhanden ist, dass das Leben untertags in der nahen Großstadt stattfindet, der Einkauf auf dem Nachhauseweg, die Freizeit im privaten Rückzugsraum.

Welches Dorf hat denn heute noch ein geöffnetes Wirtshaus, in dem abends beim Bier die Weltlage debattiert oder einfach nur Schafkopf gespielt wird? Welches Dorf hat noch einen Bäcker? Einen Metzger? Oder gar einen Laden, der alles hat?

Aber hier und dort findet man tatsächlich noch einen Kramer! Solche Dorfläden sind dünn gesät, aber es gibt sie. Neulich in Sittenbach entdeckte ich zum Beispiel einen Laden, im Dorfzentrum, neben Kirche und Pfarrhaus. Jeden Tag gibt es dort frische Semmeln und alles, was die Bewohner nötig brauchen – ein gutes Gespräch inklusive. Solche Läden sind nicht nur wie die Discounter in unseren Gewerbegebieten materielle Allesversorger. Sie sorgen gleichermaßen für Leib und Seele, sie bieten den Dorfbewohnern damit auch ein Stück Heimat. Nicht die Marke „Heimat“-Milch, mit der ein Supermarkt plakativ wirbt, sondern das Heimatgefühl beim Besuch des vertrauten Geschäfts.

Sie merken schon – ich breche hiermit eine Lanze für den Dorfladen. Helfen sie diese zu erhalten und kaufen sie dort ein! Oder gründen sie einen Dorfladen in ihrem Ort – wenn dort auch noch Kaffee ausgeschenkt wird, dann komme nicht nur ich garantiert vorbei. Und sollte man mich dann fragen: „Deafs a bissal mehra sei?“ Dann würde ich antworten: „Gerne – noch mehr Dorfläden!“

 

Das FOTOgrafierte Pärchen mit Schwein ziert die Theke einer ehemaligen Metzgerei, die zu einem Gasthaus gehörte.

 

 

 

M(a)ei Baum is weg

Es sind diese Momente, die die Arbeit der Heimatpflege so interessant machen – Geschichten, die das Leben schreibt. Neulich erhielt ich eine Nachricht auf den Anrufbeantworter, die wie ein Hilferuf klang: „Wir haben einen Maibaum, den die Beklauten nicht auslösen wollen, weil er angeblich nicht rechtens gestohlen wurde. Wir wollen ihn aber wieder loswerden! “

Da war ich neugierig, was geschehen war. Mir wurde erzählt, dass 35 junge Männer einen Baum aus einer Nachbargemeinde geklaut hätten, der als Maibaum ausgewiesen und auch über die Ortsgrenze hinaus in den Ort der Maibaumdiebe gebracht worden war. Alles so, wie es normalerweise vonstatten geht. In der Folge müssten die Beklauten ihren Baum mit ausreichend Bier und Brotzeit auslösen und bekämen ihn wieder zurück. Soweit so gut.

Aber dann kam der Pferdefuß: in der Truppe befanden sich fünf Männer, die aus einem anderen Ortsteil der beklauten Großgemeinde stammten. Darauf beriefen sich auch die Brotzeitverweigerer. Also wer hatte Recht?

Es gibt keine juristischen Grundlagen für den Maibaumdiebstahl. Beim Brauchtum wird auf der Grundlage von gewachsenen gemeinsamen Regeln gehandelt. Was wir schriftlich diesbezüglich haben, sind allein gewisse Grundsätze, die von Beobachtern dieses Brauchtums, wie z.B. vom ehemaligen oberbayrischen Bezirksheimatpfleger Paul Ernst Rattelmüller (1924 – 2004) festgehalten wurden, der schrieb: „Maibäume dürfen nur außerhalb der eigenen Gemeinde gestohlen werden. Dies bedeutet, dass man nur in Dörfern, die nicht zur Gemeinde gehören, einen Maibaum stehlen darf. In Dörfern der gleichen Gemeinde ist dies nicht gestattet.“ Folglich riet ich den Maibaumdieben zu einer Rückgabe ohne Auslöse, weil der Diebstahl mit den fünf Ortsteilansässigen einen faden Beigeschmack hätte. Der Anrufer wollte so handeln und den Baum dann nochmals ohne „wenn und aber“ klauen.

Aber es kam dann ganz anders: bevor der gestohlene Baum aus – nennen wir den Ort L. – zurückgebracht werden konnte, wurde er wiederum geklaut und nach S. gebracht. Die Burschen, die dafür verantwortlich waren, wollten ihn in einer Scheune lagern, für die sie noch einen Schlüssel brauchten. Als sie mit dem Schlüssel fünf Minuten später zur Scheune kamen, fanden sie den Platz davor leer. Man hatte ihnen den geklauten Maibaum geraubt und in den Ort P. gebracht!

Wer war nun für die Auslöse verantwortlich?

Da war guter Rat teuer und auch in diesem erweiterten Fall wurde ich um Rat gefragt. Daraufhin beriet ich mich auch mit dem Brauchtumsexperten Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege. Beide waren wir uns darin einig, dass „Maibaumklau“ ein Brauch ist, bei dem es um Spaß, Geselligkeit und auch sportliche Leistung geht. Sobald es in Streit ausartet oder negativ sogar mit „Schandbäumen“ für nicht ausgelöste Bäume endet, geht viel vom Ursprünglichen verloren.

Wir plädieren beide dafür, den Spaß und die Freude wieder in den Vordergrund zu stellen! Bei doch auftretenden Streitigkeiten sollte man sich auf eine versöhnliche Art und Weise verständigen.

Wie die Geschichte im oben geschilderten Fall ausging? Ich hoffe, dass die erste erfolgreiche Maibaumklautruppe ihrer Verpflichtung, den geklauten Baum zu beschützen, nachgekommen ist und den Baum wieder zurückgebracht hat – nachdem sie ihn bei den zuletzt erfolgreichen Dieben ausgelöst hat. Ich hätte aber auch eine Idee, wie man diese außerordentliche Aneinanderreihung von Maibaumdiebstählen abschliessen könnte: a l l e Diebe treffen sich zu einer Brotzeit mit Bier, an der sich a l l e beteiligen – denn so eine Begebenheit gibt es nicht alle Tage. Das sollte man entspannt und zünftig feiern. Prosit!

 

Die beiden Tafeln auf dem FOTO gehören zum Schwabhauser Maibaum.

 

 

Was man nicht vergessen sollte…

„Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte“ schrieb Kurt Tucholsky 1926 in seiner bitterbösen Abrechnung mit dem oberflächlichen Bildungsbürgertum in: „Interessieren sie sich für Kunst-?“.

Beide Äußerungen sind meiner Meinung nach auch heute noch aktuell. Ein Blick über den Tellerrand sowohl geografisch, kulturell als auch zeitlich schafft schließlich die Distanz, die objektives Betrachten erst möglich macht und die letztlich die Voraussetzung jeder Wissenschaft ist, ob im Bereich der Natur- oder der Geisteswissenschaft.

In diesem Sinne erinnert die Heimatpflege im Rahmen ihrer Reihe „Gegen das Vergessen“ an drei Historiker, die enge Verbindungen zum Landkreis Dachau haben und sich um die Erforschung der Geschichte ihrer Heimat verdient gemacht haben. Bemerkenswert ist, dass gleich zwei der Wissenschaftler einer Familie entstammen, nämlich der Familie von Hundt: Friedrich Hector Graf von Hundt (1809 – 1881) und Wiguleus von Hundt (1514 -1588). Als dritter Historiker wird dieses Jahr Dr. Gerhard Hanke (1924 -1998) gewürdigt.

Der im 16. Jahrhundert lebende Wiguleus von Hundt schuf mit seinem „Bayrisch Stammen-Buch“ von 1585/86 ein grundlegendes Werk der Genealogie und gilt damit zu Recht als einer der bedeutendsten Historiker des 16. Jahrhunderts. Seinem Verwandten Friedrich Hector von Hundt verdanken wir nicht nur archäologische Erkenntnisse aus dem Dachauer Land, sondern auch die grundlegende Urkundenforschung für das Kloster Indersdorf. Mit Gerhard Hanke haben wir einen Vertreter der Geschichtsforschung des 20. Jahrhunderts. Der vielgeschätzte Dachauer Heimatforscher hat in zahlreichen Aufsätzen und Büchern die Kulturgeschichte des Dachauer Landes bearbeitet. Aus Nordböhmen gebürtig, fand er als Heimatvertriebener in Bayern eine neue Heimat. Bewusst entschied er sich für den Ort Dachau, dem er sich auch durch seine Studien annäherte.

So hatte er sich,  geprägt vom Verlust der ersten Heimat, durch die Geschichtsforschung eine neue Heimat erworben – weit davon entfernt in ihr Beschränkung oder gar Enge zu sehen.

 

Für das FOTO bin ich nach Berlin in die Alte Nationalgalerie gereist.

Heimatpflege – zeitgemäß?

Welche Assoziationen weckt bei ihnen das Wort „Heimatpflege“? Der eine wird vielleicht an Trachtenvereine und Volksmusik denken, der andere hat möglicherweise die Bewahrung von Brauchtum im Sinn. Wieder andere mögen bei Heimatpflege an den Erhalt historischer Bauwerke denken.

Manch einer mag sich aber auch fragen, ob all das in unserer globalisierten Welt Bestand haben kann, ja zeitgemäß ist?

Heimatpflege ist für mich zeitgemäß, wenn sie sich nicht nur auf das Bewahren der Kulturgeschichte beruft, sondern sich auch in der Gegenwart verortet und die Frage nach der Zukunft stellt, ohne dabei vorgefertigte Meinungen zu wiederholen.

Zwischen „Dorf und Metropole“ lautet der Titel des kürzlich abgeschlossenen Raum- und Siedlungsprojektes des Landkreises Dachau, der sich auch auf die Situation der Heimatpflege beziehen lässt: Wo stehen wir mit unserem Landkreis und seinen Traditionen in der globalisierten Welt? Was haben wir bisher bewahrt, wie gehen wir damit in der Gegenwart um und wie wollen wir diese in die Zukunft tragen? Wie weit können wir Veränderungen zulassen, ohne das Charakteristische, Einmalige zu verlieren? Und grundsätzlich stellt sich die Frage nach der Wertschätzung unserer Heimat: Was ist uns unsere Heimat wert, wenn es um Fragen der Wirtschaftlichkeit geht?

Heimatpflege findet nicht nur im Museum statt, sondern ist Bestandteil des täglichen Lebens. Damit ist Heimatpflege eine sich immer wieder neu stellende Herausforderung, nicht nur für den hauptamtlichen Heimatpfleger sondern für alle, die den Wert der Heimat schätzen. Dazu gehören Vereine, aber auch einzelne Heimatforscher und Kulturschaffende und Kulturinteressierte, die die Kulturangebote im Landkreis nutzen. Hier treffen sich sowohl Neubürger als auch Alteingesessene, denen ihre Heimat wichtig ist.

So kann Heimat- und Kulturpflege heute nicht nur die klassischen Gebiete bedienen, sondern auch bei der Suche nach einer neuen Heimat Tradition und Moderne, Altbürger und Neubürger zusammenführen und integrativ und auch innovativ wirken.

In diesem Sinne sollen in diesem Blog aktuelle Themen aufgegriffen werden, Brücken zwischen Tradition und Moderne gebaut und Dinge erörtert werden, die mir aufgefallen sind, die mir wichtig sind oder die ich für diskussionswürdig halte.

 

In diesem Sinne

freue ich mich auf ihr Interesse !

 

 

Die Gartenzwerge auf dem FOTO schmücken das Fenster eines alten Bauernhauses in der Nähe von Ainhofen.