Autor: Dr. Birgitta Unger-Richter

Heimat kulinarisch: Wurstsalat

„Was kochst du denn für deine Gäste, die an deinem Geburtstag kommen werden?“, fragte mich unlängst eine gute Freundin aus meiner ersten Heimat. „Wurstsalat“ war meine Antwort, weil ich auf einen Biergartenabend hoffte. „Ja, das gab es an meinem Geburtstag auch“, lautete ihre Antwort. Was dann folgte war ein Austausch darüber, wie in Baden-Württemberg und Bayern der Wurstsalat zubereitet wird. Mal abgesehen von der Art die Wurst zu schneiden, in Bayern „Radl“ in Schwaben „Streifen“, unterscheiden sich auch die Zutaten: Lyoner, Stadtwurst, Göttinger ja auch Leberkäse fand ich bei meinen weit angelegten Testessen in bayrischen Gasthöfen, Biergärten und privaten Haushalten. In Baden-Württemberg, betonte meine Freundin, gehe es jedoch nicht ohne Schwarzwurst. „Aber die bekomme ich hier ja nicht“- seufzte ich, worauf meine Freundin versprach, bei einem der nächsten Besuche eine solche mitzubringen.

Das brachte mich darauf, darüber nachzudenken, was mir aus meiner ersten Heimat im Alemannischen fehlen könnte. Auf dem Kultursender „arte“ , der sich dem kulturellen Verständnis zwischen Deutschland und Frankreich widmet, gibt es dazu im Magazin „karambolage“ ein Format das heißt: „ce qui me manque“ – „was mir fehlt“.  Hier berichten Franzosen in Deutschland und Deutsche in Frankreich, was sie  – obwohl sie gut integriert sind –  in ihrer neuen Heimat vermissen. Bemerkenswert ist, dass es dabei häufig um Dinge rund ums Essen geht. Eine Deutsche vermisst in Paris ihren Eierpicker, eine aus dem Kamerun gebürtige Französin ihren afrikanischen Steinmörser, die Redakteurin der Sendereihe Claire Doutriaux kann sich ein Leben in Deutschland ohne Austern nicht vorstellen. Für die deutsche Journalistin Jeanette Konrad gehören zu Weihnachten selbstgebackene Weihnachtsplätzchen, für die glücklicherweise immer ihre Großmutter mit Päckchen sorgt.

Die kurzen Beiträge von etwa zwei Minuten Länge beginnen immer mit dem Namen und der Herkunft des Porträtierten und mit dem Zusatz, dass derjeinige nicht wirklich unglücklich sei, weil ihm schließlich nur eine Kleinigkeit zum perfekten Glück fehle.

In diesem Sinne würde mein Beitrag so anfangen: „Ich komme aus Baden-Württemberg und lebe seit einer gefühlten Ewigkeit in Bayern. Ich liebe die bairische und internationale Küche und koche gerne mit und für die Familie und Freunde. Aber die weichen schwäbischen Brezeln, nicht zu stark gebacken und mit eher teigiger und gleichzeitig luftiger Konsistenz finde ich nur selten in Bayern. Das ist aber nicht tragisch, weil ich immer wieder aus Baden-Württemberg Brezeln mitgebracht bekomme, zu denen ich dann häufig bayrische Weißwürste serviere.“

Um auf meine eingangs genannte Freundin zurückzukommen – sie meinte, dass sie in mein nächstes „care-Paket“ noch Schwarzwurst legen würde. Dann müssen wir uns nur noch einigen, wie wir die Wurst für den gemeinsamen Wurstsalat schneiden werden….

Haben sie auch Dinge, die sie vermissen? Die bei ihnen kulinarische Heimatgefühle erzeugen? Und auf die sie ungern verzichten? Schreiben sie mir doch…

 

Der Wurstsalat auf dem FOTO ist eine Eigenkreation.

Mittsommer-Blues

Gestern wunderte ich mich über reges Treiben in meinem Gemüsegarten: da bedienten sich doch einige freche Amseln ausgiebig an den Johannisbeeren! Johannisbeeren, die ihren Namen vom gleichnamigen Heiligen haben, an dessen Gedenktag, dem 24. Juni, sie reif sein sollen.  An „Johanni“ ist auch der Tag der Sommersonnenwende, der sogenannte „Mittsommer“. Viele waren – wie auch ich – aufgrund der letzten Regenwochen geneigt, den Mittsommer mit seiner Sonnenwende zu verdrängen. Haben wir nicht alle befürchtet, dass der halbe Sommer schon vorbei sein könnte, bevor er überhaupt angefangen hat? Wer hoffte da noch auf eine irgendwie passable Ernte von Beerenfrüchten? Ein echter Mittsommer-Blues bahnte sich an…

In den nordischen Ländern ist Midsommar ein Fest, bei dem die Sommersonnenwende mit ausgiebigem Essen, Tanzen und familiärem Beisammensein gefeiert wird – egal wie das Wetter ist. Uns wurde der Midsommar auch durch Werbekampagnen eines schwedischen Möbelanbieters nähergebracht…

Aber wie kam es zur Verbindung von „Johanni“ und Sommersonnenwende? In frühchristlicher Zeit legte die Kirche den Gedenktag Johannes des Täufers auf diesen Tag, weil mit ihm Sonne und Licht verbunden sind, beides Symbole für Christus, als dessen Vorbote Johannes gilt. Die Lichtsymbolik zeigte sich dann auch im Brauchtum: vielerorts wurden in dieser hellen Nacht Sonnwendfeuer entzündet, um die auch getanzt wurde. Auch magische Kräfte wurden dem Feuer nachgesagt: vom Verscheuchen böser Geister hin bis zum Liebeszauber. In Städten wie München war das Sonnwendfeuer im Mittelalter sehr verbreitet, sodass es aufgrund der Brandgefahr zu Verboten kam, die aber das Brauchtum nicht zum Erliegen brachten. Erst im 20. Jahrhundert vereinnahmten die nationalistischen Kreise diesen Brauch, dem sie vermeintlich „germanische“ Wurzeln zuschrieben. So wurde er nach dem Krieg nicht wieder aufgegriffen und verschwand. Heute finden in Oberbayern nur vereinzelt Sonnwendfeuer statt. Wenn, dann veranstalten häufig Vereine gesellige Feiern, die den Charakter eines Dorffestes haben.

Was heute noch gilt ist,  dass man den letzten Spargel an diesem Tag erntet und auch die Rhabarbersaison endet. Das bringt mich zurück zu meinen Johannisbeeren. Den Nachtisch für mein privates Mittsommerfest mit Freunden haben ja bereits die Amseln verspeist. Ich glaube, ich nutze die Gelegenheit und ernte nochmals Rhabarber für ein Tiramisu.  Das hilft auch gegen den Schlechtwetter-Mittsommer-Blues. Aber vielleicht wird es ja auch schön! Dann gilt für mich die Bauernregel: „Wie’s Wetter an Johanni war, so bleibt’s wohl 40 Tage gar.“ Falls nicht, dann halte ich eben Ausschau nach Glühwürmchen, gemäß dem Sprichwort: „Glüh’n Johanniswürmchen helle, schöner Juli ist zur Stelle“.

 

Ein FOTOgrafischer Blick auf meine Johannisbeeren, die noch etwas reifen müssen.

Grenz-Wertig

Der Begriff „Grenz-Wertig“ kann in zwei Richtungen interpretiert werden. Zum einen bezeichnet er Werte an einer geografischen Grenze und zum anderen stellt er eben diese Wertigkeit von Dingen in Frage. Deshalb habe ich diesen Begriff bewußt als Motto für meine Exkursionen gewählt, die die Teilnehmer einmal jährlich an die Grenzen im Landkreis Dachau führen soll.

Was die erste Bedeutung anbelangt: wir reisen zusammen entlang der Landkreisgrenze in Richtung Fürstenfeldbruck, Aichach-Friedberg, Pfaffenhofen, München. Dabei besuchen wir Baudenkmäler, interessante landschaftliche Abschnitte, historisch bedeutsame Orte. Es geht dabei nicht um ein landkreisweites „Sachschaun“ in Abgrenzung zu den Nachbarlandkreisen. Es geht vielmehr um Informationen zur Kultur- und Heimatpflege die zeigen, wie willkürlich die heutigen politischen Grenzen oftmals gesetzt sind. Drei Beispiele von vielen seien hier genannt: Pfarrverbände wie der in Haimhausen-Fahrenzhausen bilden eine Einheit über Dachau hinaus mit dem Freisinger Kreis. Die Kirche St. Dionysius in Pipinsried schlägt eine Brücke zwischen der Diözese München-Freising und dem Bistum Augsburg. Die Furthmühle trennen nur wenige Meter von der Gemeinde Pfaffenhofen. Heute gehört sie zum Landkreis Fürstenfeldbruck, während sie im 19. Jahrhundert Bestandteil der Besitztümer der Augsburger Familie von Lotzbeck war, der neben Schloss Weyhern auch die ehemalige Hofmark Eisolzried bei Bergkirchen gehörte.

Übrigens abseits der Denkmalpflege: es verläuft auch eine Art sprachlicher Grenze durch den Landkreis Dachau. Der Übergang vom Dialekt des Bairischen zum Schwäbischen manifestiert sich bereits in der Gegend um Altomünster. Auch Trachten, Musik und Brauchtum lassen sich nicht auf politische Grenzen reduzieren….

Aber zurück zum Begriff „Grenz-Wertig“, der im zweiten Sinne eine Kategorie ist, die die subjektive Geschmacksempfindung betrifft: hier treffen Anhänger von Toskanahäusern auf Liebhaber von Bauhaus-Würfeln, Freunde der neuen Ruinenarchitektur auf Gartenzwergidyllen, Tradition auf Moderne.

Kann man diese beiden Grenzwerte zusammenbringen? Ich denke schon. Der Blick auf Werte schärft den Blick für Qualität und beeinflusst den Geschmack. Und in diesem Sinne halte ich es mit Oscar Wilde, der sagte: „Ich habe einen ganz einfachen Geschmack. Ich bin immer mit dem Besten zufrieden.“

Werte setzen sich durch – auch über Grenzen hinweg.

 

Auf dem FOTO sehen sie einen Blick auf eine Straße zwischen Deutenhausen und Kreuzholzhausen. Im Hintergrund die Alpenkette.

Wir wollen doch kein Geld…

Stellen sie sich einmal vor, sie dürften entscheiden, ob Neuschwanstein einen violetten Wandputz erhalten sollte, die Frauenkirchentürme ein Pultdach und Schloss Dachau einen Carport für die dort parkenden Reisebusse…. Ich bin mir sicher, dass die meisten von ihnen ein spontanes „Das geht ja gar nicht!“ ausrufen würden.

Mit ganz so spektakulären Dingen haben wir es im Landkreis Dachau meist nicht zu tun. Dennoch kann es vorkommen, dass die Aussage „Wir wollen doch kein Geld“ die Einleitung dafür ist, dass eine Maßnahme am Denkmal stattfand, die nicht mit den Behörden abgestimmt wurde. Eine ganz schwierige Sache.

Der Gesetzgeber hat nun einmal im Artikel 6 des Bayrischen Denkmalschutzgesetzes festgelegt: „Wer (1.) Baudenkmäler beseitigen, verändern oder an einen anderen Ort verbringen oder (2.) geschützte Ausstattungsstücke beseitigen, verändern, an einen anderen Ort verbringen oder aus einem Baudenkmal entfernen will, bedarf der Erlaubnis.“

Dies hat sich der Gesetzgeber nicht ausgedacht, um unnötige behördliche Hürden aufzubauen, sondern den optimalen Schutz eines Denkmals zu gewährleisten. Dazu gehört, den Denkmaleigentümern beratend zur Seite zu stehen – inhaltlich, fachlich und auch finanziell. Deshalb gibt es u.a. die Einrichtung sogenannter „Amtstage“, bei denen der Gebietsreferent des Landesdenkmalamtes, ein Vertreter der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Kreisbaumeister zusammen mit dem Heimatpfleger Denkmäler besichtigen und die Besitzer beraten.

Als Heimatpfleger sind wir in ein weites Netzwerk eingebunden und können häufig einen Blick hinter die Kulissen werfen. Vertrauen ist da Ehrensache. Deshalb kann ich nur immer wieder an alle mit Denkmälern Befassten appellieren: nehmen sie Kontakt mit den zuständigen Stellen auf! Der erste Schritt ist einen Erlaubnisantrag auszufüllen und schon sind sie auf dem richtigen Weg!

Wenn sie dann auch noch sagen: „Wir wollen kein Geld“ – vielleicht weil es einen potenten Förderverein gibt, eine spendable Gemeinde oder einfach Erspartes für das Baudenkmal vorhanden ist – dann ist das wieder eine andere Sache. Unsere Beratung ist auf jeden Fall kostenlos – aber hoffentlich nicht umsonst.

 

 

FOTO: Die Heilige Ottilie in Straßbach wartet auf Spenden.

Deafs a bissal mehra sei?

Manchmal entdecke ich bei meinen Fahrten durch den Landkreis nicht nur landschaftlich wunderschöne Orte, schmucke Kirchenbauten und stattliche Bauernhöfe, sondern auch die Zeugnisse einer voranschreitenden Zersiedelung mit kunterbunten Neubauten und Zitaten der Baugeschichte aus der ganzen Welt. Wir haben Almhütten, Toskanahäuser, modernistische Kuben, ja sogar Fachwerkbauten und Bungalows, alles vereint in dicht gedrängten Neubausiedlungen, wo jeder Besitzer stolz auf seinen einzigartigen Fassadenfarbton ist…

So verändern sich unsere Dörfer im Landkreis Dachau.

Aber wie lebt es sich in so einem bunten Dorf? Wo erhält der Dorfbewohner seine Lebensmittel? Die lauten Hausfassaden verheißen Lebendigkeit, täuschen jedoch häufig darüber hinweg, dass ein geselliges Dorfleben nurmehr ansatzweise vorhanden ist, dass das Leben untertags in der nahen Großstadt stattfindet, der Einkauf auf dem Nachhauseweg, die Freizeit im privaten Rückzugsraum.

Welches Dorf hat denn heute noch ein geöffnetes Wirtshaus, in dem abends beim Bier die Weltlage debattiert oder einfach nur Schafkopf gespielt wird? Welches Dorf hat noch einen Bäcker? Einen Metzger? Oder gar einen Laden, der alles hat?

Aber hier und dort findet man tatsächlich noch einen Kramer! Solche Dorfläden sind dünn gesät, aber es gibt sie. Neulich in Sittenbach entdeckte ich zum Beispiel einen Laden, im Dorfzentrum, neben Kirche und Pfarrhaus. Jeden Tag gibt es dort frische Semmeln und alles, was die Bewohner nötig brauchen – ein gutes Gespräch inklusive. Solche Läden sind nicht nur wie die Discounter in unseren Gewerbegebieten materielle Allesversorger. Sie sorgen gleichermaßen für Leib und Seele, sie bieten den Dorfbewohnern damit auch ein Stück Heimat. Nicht die Marke „Heimat“-Milch, mit der ein Supermarkt plakativ wirbt, sondern das Heimatgefühl beim Besuch des vertrauten Geschäfts.

Sie merken schon – ich breche hiermit eine Lanze für den Dorfladen. Helfen sie diese zu erhalten und kaufen sie dort ein! Oder gründen sie einen Dorfladen in ihrem Ort – wenn dort auch noch Kaffee ausgeschenkt wird, dann komme nicht nur ich garantiert vorbei. Und sollte man mich dann fragen: „Deafs a bissal mehra sei?“ Dann würde ich antworten: „Gerne – noch mehr Dorfläden!“

 

Das FOTOgrafierte Pärchen mit Schwein ziert die Theke einer ehemaligen Metzgerei, die zu einem Gasthaus gehörte.

 

 

 

M(a)ei Baum is weg

Es sind diese Momente, die die Arbeit der Heimatpflege so interessant machen – Geschichten, die das Leben schreibt. Neulich erhielt ich eine Nachricht auf den Anrufbeantworter, die wie ein Hilferuf klang: „Wir haben einen Maibaum, den die Beklauten nicht auslösen wollen, weil er angeblich nicht rechtens gestohlen wurde. Wir wollen ihn aber wieder loswerden! “

Da war ich neugierig, was geschehen war. Mir wurde erzählt, dass 35 junge Männer einen Baum aus einer Nachbargemeinde geklaut hätten, der als Maibaum ausgewiesen und auch über die Ortsgrenze hinaus in den Ort der Maibaumdiebe gebracht worden war. Alles so, wie es normalerweise vonstatten geht. In der Folge müssten die Beklauten ihren Baum mit ausreichend Bier und Brotzeit auslösen und bekämen ihn wieder zurück. Soweit so gut.

Aber dann kam der Pferdefuß: in der Truppe befanden sich fünf Männer, die aus einem anderen Ortsteil der beklauten Großgemeinde stammten. Darauf beriefen sich auch die Brotzeitverweigerer. Also wer hatte Recht?

Es gibt keine juristischen Grundlagen für den Maibaumdiebstahl. Beim Brauchtum wird auf der Grundlage von gewachsenen gemeinsamen Regeln gehandelt. Was wir schriftlich diesbezüglich haben, sind allein gewisse Grundsätze, die von Beobachtern dieses Brauchtums, wie z.B. vom ehemaligen oberbayrischen Bezirksheimatpfleger Paul Ernst Rattelmüller (1924 – 2004) festgehalten wurden, der schrieb: „Maibäume dürfen nur außerhalb der eigenen Gemeinde gestohlen werden. Dies bedeutet, dass man nur in Dörfern, die nicht zur Gemeinde gehören, einen Maibaum stehlen darf. In Dörfern der gleichen Gemeinde ist dies nicht gestattet.“ Folglich riet ich den Maibaumdieben zu einer Rückgabe ohne Auslöse, weil der Diebstahl mit den fünf Ortsteilansässigen einen faden Beigeschmack hätte. Der Anrufer wollte so handeln und den Baum dann nochmals ohne „wenn und aber“ klauen.

Aber es kam dann ganz anders: bevor der gestohlene Baum aus – nennen wir den Ort L. – zurückgebracht werden konnte, wurde er wiederum geklaut und nach S. gebracht. Die Burschen, die dafür verantwortlich waren, wollten ihn in einer Scheune lagern, für die sie noch einen Schlüssel brauchten. Als sie mit dem Schlüssel fünf Minuten später zur Scheune kamen, fanden sie den Platz davor leer. Man hatte ihnen den geklauten Maibaum geraubt und in den Ort P. gebracht!

Wer war nun für die Auslöse verantwortlich?

Da war guter Rat teuer und auch in diesem erweiterten Fall wurde ich um Rat gefragt. Daraufhin beriet ich mich auch mit dem Brauchtumsexperten Michael Ritter vom Landesverein für Heimatpflege. Beide waren wir uns darin einig, dass „Maibaumklau“ ein Brauch ist, bei dem es um Spaß, Geselligkeit und auch sportliche Leistung geht. Sobald es in Streit ausartet oder negativ sogar mit „Schandbäumen“ für nicht ausgelöste Bäume endet, geht viel vom Ursprünglichen verloren.

Wir plädieren beide dafür, den Spaß und die Freude wieder in den Vordergrund zu stellen! Bei doch auftretenden Streitigkeiten sollte man sich auf eine versöhnliche Art und Weise verständigen.

Wie die Geschichte im oben geschilderten Fall ausging? Ich hoffe, dass die erste erfolgreiche Maibaumklautruppe ihrer Verpflichtung, den geklauten Baum zu beschützen, nachgekommen ist und den Baum wieder zurückgebracht hat – nachdem sie ihn bei den zuletzt erfolgreichen Dieben ausgelöst hat. Ich hätte aber auch eine Idee, wie man diese außerordentliche Aneinanderreihung von Maibaumdiebstählen abschliessen könnte: a l l e Diebe treffen sich zu einer Brotzeit mit Bier, an der sich a l l e beteiligen – denn so eine Begebenheit gibt es nicht alle Tage. Das sollte man entspannt und zünftig feiern. Prosit!

 

Die beiden Tafeln auf dem FOTO gehören zum Schwabhauser Maibaum.

 

 

Do you speak Bavarian?

Das haben wahrscheinlich bisher wenige Touristen in Bayern einen Einheimischen gefragt. Als Umgangssprache für Einheimische und Touristen wird die Standardsprache benutzt, die gleichzeitig die Basis für eine Verständigung im gesamten deutschsprachigen Raum darstellt.

Letzte Woche lud der Bayernbund ins Gasthaus Zieglerbräu nach Dachau ein, um sich der Frage „Ist Bairisch erwünscht, geduldet, verfemt, aussterbend oder lebendig?“ zu widmen. Das Podium war überwiegend mit „native speakers“ aus Bayern besetzt – eine Ausnahme war die Diskussionsleitung, die „Quotenfrau“, die gleichzeitig auch einen anderen Dialekt, nämlich das Plattdeutsche vertrat.

Insgesamt wurde von Podium und Publikum eine Lanze für den Dialekt gebrochen. Er sei bildreicher als die Standardsprache und von der Anzahl der Wörter her kürzer. Von daher eigne sich Dialekt  auch als Schnellform beim modernen Kommunizieren per Smartphone – was Jugendliche auch häufig nutzten. Trotzdem nehme die Anzahl der Dialektsprecher ab. Abhilfe soll deshalb schon von Klein auf in Kindergärten und Schulen geleistet werden, wozu eigens ein Projekt „MundART WERTvoll“ gestartet wurde. Kinder würden dabei spielerisch ans Dialektsprechen herangeführt. Positive Beispiele auch aus der Praxis wurden genannt.

Alles schön und gut, seufzte ich da innerlich, auch dass die UNESCO 2009 den bairischen Dialekt als Kulturgut würdigte, ihn aber auch als bedroht einstufte. Denn ich sehe eine Parallele zwischen der Entwicklung des Brauchtums und der des Dialekts: beide reagieren auf die jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und verändern sich mit den Bedürfnissen der Menschen. Beide unterliegen einem eigendynamischen Prozess, der manchmal Überraschendes wie die neu aufgeflammte Liebe zur Trachtenmode hervorbringt.

In den Aufbruchsjahren der 60er und 70er Jahre galt Dialekt als provinziell und altmodisch. Als Reaktion auf die Globalisierung und internationale Kommunikation hat sich aber in verschiedensten Bereichen eine Rückbesinnung auf das Regionale ergeben, die häufig auch mit „Heimat“ verbunden wird. Dazu gehört auch der Dialekt, der mancherorts eine Art von „Renaissance“ erfährt.

Wenn wir die Akzeptanz des Dialekts erhöhen wollen und eine Wiederbelebung desselben anstreben, dann können wir auf die inzwischen etablierte Sprachwissenschaft zurückgreifen und auf die Praxis des Gesprochenen. Obacht aber bei der Klischeefalle! Zum Bairischreden gehört nicht unweigerlich das Tragen von Dirndl und Lederhose. Auch die korrekte Aussprache von „Oachkatzlschwoaf“ als Eignungstest für Preußen ist ein „Schmarrn“. Auf keinen Fall sollte Dialekt ein „muss“ werden, so wie es die Schriftsprache lange Zeit war.

Dialekt sprechen ist  ein Ausdruck der Kultur einer Gegend – zu recht ein Kulturgut im Sinne der UNESCO. In unserem Landkreis ist der Dialekt gekennzeichnet durch das Aufeinandertreffen von Bairisch und Schwäbisch – da fühle ich mich auch sprachlich daheim.

Im Dialekt zu Hause ist übrigens auch der gebürtige Brite, Professor Dr. Anthony Rowley, der in München am Lehrstuhl für Germanistik tätig ist. Er gilt als einer der versiertesten Kenner des bairischen Dialekts. „Do you speak Bavarian?“ versteht sich bei ihm von selbst – schön wäre es, wenn es das für uns auch wäre.

 

FOTO: Die Schlossbergler feiern 2016 im Ludwig-Thoma-Haus Jubiläum.

 

 

 

 

 

 

 

Dachauer Heimatkrimi(s)

„Am St. Johannitag, den 24. Juni, nachmittags, ertrank beim Baden in der Glonn bei Indersdorf der praktische Arzt Herr Dr. Heinrich Schmederer aus München, 30 Jahre alt, und wurde die Leiche am 25. Juni aus dem Wasser gezogen“. So lautete die Meldung im Amperboten vom 26. Juni 1880.

Der Arzt Dr. Schmederer hatte an diesem Tag beruflich im Distriktskrankenhaus in Indersdorf zu tun. Dort untersuchte er als Mitglied einer Münchner Kommission die Leiche des am 13. Juni erstochenen Röhrmooser Dienstknechts Raimund Fleischmann. Danach begaben sich die Herren zum Mittagessen in die Klosterbrauerei. Dr. Schmederer wollte sich nach dem Mahl bei einem Bad erfrischen und lud auch die anderen Herren ein, die jedoch ablehnten. „So ließ er sich allein zu der in nächster Nähe Indersdorf an der Glonnbrücke sich befindenden Brücke führen“, berichtete der Amperbote vom 27. Juni. Nach einer Stunde wurde Dr. Schmederer vermisst. Man fand zunächst nur seine Kleider und erst einen Tag später die Leiche des Verunglückten. Der Vorfall sprach sich wie ein Lauffeuer im Ort herum und zahlreiche Schaulustige verfolgten die Bergung und Überführung des Ertrunkenen. Als Erinnerung an den Unglücksfall ließ die Familie Schmederer am Unfallort ein Kreuz errichten.

Diese Begebenheit hätte durchaus das Potential für einen Heimatkrimi:  Ich sehe den Ermittler schon vor mir, wie er den Ausführungen der Angehörigen folgt, dass es sich um keinen Unglücksfall handeln könne, da der Tote äußerst gesund und ein ausgezeichneter Schwimmer gewesen sei. Der Klosterwirt widerspricht dem Verdacht, dass die Brotzeit schuld gewesen sei, weist aber mit verschwörerischer Miene darauf hin, dass der Mörder des Röhrmooser Dienstknechts noch immer nicht gefasst sei…

Aber an dieser Stelle breche ich ab –  schließlich schreibe ich (noch) keinen Heimatkrimi. Aber die Geschichte hat auch so noch eine spannende Fortsetzung, die mein hochgeschätzter Vorgänger Kreisheimatpfleger Alois Angerpointner festgehalten hat: „Vom Schmederer Kreuz“.

Angerpointner berichtet, dass bald nach dem Tod des Arztes das Gerücht aufkam, dass es beim „Schmederer-Kreuz“ spuke. Ein Geist sei erschienen hieß es oder auch ein großohriger Hund sei gesichtet worden. Bei einbrechender Dunkelheit meide man die Unglücksstelle und Schulkinder trauten sich nur in Gruppen die Brücke zu passieren. Das wurde mir auch von einer Indersdorferin bestätigt, die erzählte, dass man auch noch in den 50er Jahren den jungen Mädchen davon abriet, abends die Brücke beim „Schmederer-Kreuz“ zu passieren, weil einen sonst der „oide Schmederer holt“.

In Alois  Angerpointners gesammelte Sagen aus dem Dachauer Land werden häufig Begebenheiten mit historischem Kern erzählt, wie beim Schmederer-Kreuz, eingebettet in eine Spukgeschichte. Oft erscheinen Geister, mit oder ohne Kopf, feurige oder schwarze Hunde und der Teufel sucht sich eine immer wieder andere Gestalt, um den Menschen Verderben zu bringen. Für den Menschen scheinbar Unerklärliches wird erläutert, Frevel bestraft, gottgefälliges Leben belohnt. Eine wahre Fundgrube für historisch Interessierte und für Liebhaber spannender Geschichten – Geschichten, die viele Heimatkrimis in den Schatten stellen.

 

 

Die Zitate stammen aus dem Amperboten, nachzulesen im Stadtarchiv Dachau. Die Sage „Vom Schmederer-Kreuz“ findet man bei: Alois Angerpointner: Altbairische Sagen. Geschichten und Legenden aus dem Dachauer Land (Teil 2), Dachau (Bayerland) 1980.

 

FOTO: Abendstimmung bei Fritzlar.

Go west

1927 bestieg ein junger Mann aus dem Schwarzwald ein Schiff der Hamburg-Amerika-Linie, um in Übersee sein Glück zu machen. In seinem Heimatort herrschte aufgrund der Wirtschaftskrise der 20er Jahre eine hohe Arbeitslosigkeit und Verwandte im fernen Amerika versprachen ihm eine bessere Zukunft.

Auch aus der Stadt und dem Landkreis Dachau machten sich in diesen Jahren viele Menschen auf den Weg nach Amerika. Ihre Namen, Abreisedaten, Alter und Berufe kann man im Archiv des Auswanderermuseums in Bremerhaven nachlesen.

Ab und an wurde  auch in den Dachauer Lokalzeitungen über Auswanderer geschrieben. Der Heimatforscher Hubert Eberl aus Bergkirchen wies mich dankenswerterweise auf einen Artikel hin, der am 30. August 1997 in den Dachauer Nachrichten erschien und über den Besuch von einem Verwandten der Familie Haas aus Bergkirchen berichtete. 1926 waren auf Vermittlung des damaligen Pfarrers Schöttl, der selbst in Amerika gewesen war, sieben junge Männer aus dieser Gemeinde ausgewandert. Einer dieser Auswanderer war Thomas Haas: „Im elterlichen Anwesen gab es nichts, was ihn hielt. Bei 13 Geschwistern konnte bei dem über 100 Tagwerk großen Hof nicht viel herausschauen. Es reichte gerade mal für das Essen.“

Ein weiterer Auswanderer aus Dachau nahm am 21. Oktober 1926 die „München“ von Bremen nach New York: der Malermeister Josef Bachmaier, der im März des gleichen Jahres zu den Gründungsmitgliedern des Trachtenvereins  „Schlossbergler“ gehört hatte, die sich weiterhin für den Erhalt der Gebirgstracht einsetzen wollten. Er blieb dem Verein auch in seiner neuen Heimat verbunden und ermöglichte durch mehrere Spenden, dass 1928 eine Tischstandarte in Dachau erworben werden konnte.

Zwei Schicksale aus unserem Landkreis unter vielen, die der Besucher des Auswanderermuseums in Bremen kennenlernen kann. Hier schlüpft er selbst in die Rolle eines Emigranten und durchlebt dessen Weg von der Einschiffung über die Reise bis hin zu Ankunft in Ellis Island. Er kann beim Abschied im Hafen die Ängste und Sorgen der Einwanderer erfahren, den schwankenden Boden im Schiff unter seinen Füßen spüren und sowohl die Enge und Strapazen der Überfahrt als auch die demütigende Prozedur der Registrierung nachvollziehen. Nach bestandenem Einwanderungstest darf er einreisen und gelangt dann zur Central Station. Er erfährt dann im weiteren Rundgang, wie es einzelnen Immigranten in ihrer neuen Heimat ergangen ist. Die Reise zurück nach Deutschland erlebt der Besucher dann aus der Perspektive eines Zuwanderers nach Deutschland in den Wirtschaftswunderjahren.

Übrigens: der eingangs genannte junge Mann kehrte bereits ein Jahr nach seiner Ankunft in den Staaten wieder nach Deutschland zurück. Sein Heimweh war stärker als seine Träume von einer goldenen Zukunft. Und so blieb die Reise meines Großvaters Emil eine Fußnote in unserer Familiengeschichte. Immerhin war sie der Anlass das Bremerhavener Auswanderermuseum zu besuchen, was ich jedem nur wärmstens empfehlen kann.

 

Die Postkarte mit dem FOTO der New York  befand sich im Nachlass meines Grossvaters.

Mein Gartenzwerg

„Jeder Mensch hat einen eigenen Gartenzwerg“ – so eröffnete vor vielen Jahren meine Germanistikprofessorin die Abschlussprüfung und verblüffte mich damit dermaßen, dass mir zunächst keine Antwort einfiel. Hatte ich mich doch auf Fragen zu den Schriftstellern und der Literatur der Aufklärung eingestellt…

Daran erinnerte ich mich, als ich anlässlich eines Vortrags über Gartenbauvereine, Schrebergärten und Gartenstädte recherchierte.  Denn dabei stieß ich auf das Forschungsgebiet der „Nanologie“ – der Gartenzwergkunde, die sich wissenschaftlich mit Herkunft, Bedeutung und Wesen des Gnomen befasst. Als Wurzeln für die Zwerge hat diese unter anderem Sagen und Mythen ausgemacht, in denen Wichtel als fleissige Bergmänner erscheinen – als bekannteste Vertreter können hier die sieben Zwerge aus „Schneewittchen“ genannt werden.

Als steingewordener Gartenschmuck tauchten sie zunächst im höfischen Umfeld auf, so auch im berühmten barocken Mirabell-Garten in Salzburg. In die bürgerlichen Gärten schafften sie es erst im 19. Jahrhundert. Aufgrund der großen Nachfrage entwickelte sich eine industrielle Produktion von tönernen Zwergen, deren bekannteste Manufaktur seit 1874 bis heute in Thüringen besteht.

Soweit die Geschichte – aber wie steht es um das heutige Image des Gartenzwergs? Als Kind mochte ich die kleinen Männchen mit den roten Zipfelmützen, der Laterne oder einer Schubkarre. Besonders beeindruckend war, wenn sie in einer künstlichen erstellten Tuffsteinlandschaft standen, umgeben von weiteren Märchenfiguren – und dann fuhr da noch eine Eisenbahn durch diese Zauberwelt! Ich erinnere mich auch noch vage an zwei Exemplare, die ich als Kind selbst besaß, die meine Mutter aber in einen hinteren uneinsehbaren Gartenteil unseres Grundstücks verbannte – heute verstehe ich auch warum.

Denn bis heute gilt der Gartenzwerg als Inbegriff des Kitsches, des spießigen akkuraten Vorgartens, allgemein einer gewissen Beengtheit. Oder er wird gleich mit dem ungeliebten Bild des tumben deutschen Michels verschmolzen.

Vielleicht muss man dem Gartenzwerg aber eine Chance geben, seiner kleinen Welt zu entfliehen. Dazu fällt mir der Zwerg in „Die fabelhafte Welt der Amélie“ ein, der mit einer Stewardess um die Welt reisen darf und von allen europäischen Großstädten Polaroidfotos an seinen Besitzer schickt und auf diese Weise sein Umfeld verändert. Oder mein Freund der Zwerg aus Schwabhausen, der lange Zeit an der Hauptstraße durch ein Loch in der Thujenhecke hinaus in die Ferne blickte. Seine Besitzer hatten ihm ein Fenster zur Welt geschnitten und ihn auf einen Sockel gestellt, weil er aufgrund seines Alters schon seine Füße eingebüßt hatte.

„Ja“,  würde ich heute auf die eingangs gemachte Feststellung antworten, „Vielleicht hat jeder Mensch einen eigenen Gartenzwerg – es kommt nur darauf an, was er daraus macht“. Und dann wären wir mitten in einer anregenden Diskussion, die sich weniger um Gartenschmuck als vielmehr um die menschliche Toleranz und den aufgeklärten Menschen drehen könnte – also um etwas, das gegenwärtig immer dringender gebraucht wird.

 

Die beiden Gartenzwerge, die selber bemalt werden können, habe ich für das FOTO in der Nachbarschaft ausgeliehen.